Kapitel 3: Evolution der Klangerzeuger-Systeme und neue Ansätze in der Musikproduktion
Die Ankunft der Sample-basierten Klangerzeuger

Angeregt durch die Entwicklung der FM-Klangerzeugung stellte Yamaha seine Synthesizer in den 1980er Jahren auf digitale Technologien um und brachte auch dank der Fortschritte bei den integrierten Schaltkreisen Produkte mit einer Vielzahl neuer Funktionen auf den Markt. Ein Teil dieses Ansatzes beruhte auf der Entwicklung von Technologien, die es ermöglichten, digitale Aufnahmen der tatsächlichen Klänge von akustischen Instrumenten - gemeinhin als "Samples" bezeichnet - als Klangerzeugung zu verwenden. Schlagzeug, Percussion, Effektgeräusche und andere ähnliche Klänge sind relativ kurz und eignen sich daher ideal für das Sampling; außerdem müssen Tonhöhe und Klangfarbe bei der Wiedergabe dieser Aufnahmen nur wenig angepasst werden. Mit der Sampling-Technologie lassen sich die Klänge dieser und anderer akustischer Instrumente daher leicht nachbilden. Aus diesem Grund begannen verschiedene Instrumentenhersteller in den achtziger Jahren, die Sampling-basierte Klangerzeugung - auch bekannt als Pulse Code Modulation (PCM) - in Drumcomputern und anderen ähnlichen Produkten einzusetzen. Hier bei Yamaha nennen wir diese Art von Engine die Advanced Wave Memory (AWM) Klangerzeugung.
Diese Art von Klangerzeugung war jedoch nicht auf Schlagzeugklänge beschränkt: Sie konnte auch Samples von Klavieren, Gitarren und anderen Instrumenten mit längerer Abklingzeit wiedergeben, ebenso wie die gehaltenen Sounds von Orgeln und Ähnlichem. Allerdings wurden sie hauptsächlich als Sample-Player eingesetzt – also als Gerät, das aufgenommene Instrumentalklänge unverändert wiedergibt – und nicht in Synthesizern zur eigentlichen Klangerzeugung. Es mussten noch viele Herausforderungen gemeistert werden, bevor die Advanced Wave Memory (AWM) Engine sich auch effektiv als Synthesizer einsetzen ließ, mit dem Klänge kreativ gestaltet werden konnten, oder als Teil eines ausdrucksstarken Instruments für Live-Auftritte.
Eine besonders schwierige Aufgabe war die Entwicklung digitaler Filter, die sich exakt so verhalten wie die in analogen Synthesizern. Obwohl die mathematischen Formeln, welche die theoretische Funktionsweise dieser Geräte beschrieben, damals schon gut verstanden wurden, entpuppte sich ihr Verhalten in einer digitalen Schaltung weitaus weniger elegant als das der analogen Filter. Besonders kompliziert war es, das für analoge Synthesizer so typische „Resonanz“-Verhalten nachzubilden. Andere Hersteller hatten zwar schon Synthesizer mit digitalen Filtern vorgestellt, aber die meisten waren nicht wirklich überzeugend. Vielen fehlte die Resonanz komplett, andere versuchten, dieses einzigartige Filterverhalten künstlich zu simulieren.
Zu dieser Zeit hatte Yamaha tatsächlich einen digitalen Filter entwickelt, der das Verhalten eines analogen Filters reproduzieren konnte – eine Funktion, die 1989 in unserem digitalen Synthesizer SY77 ihr lang erwartetes Debüt feierte. Der SY77 war sowohl mit einem AWM-Klangerzeuger als auch mit einem FM-Klangerzeuger ausgestattet, die beide zusammen mit dem digitalen Filter verwendet werden konnten, um Klänge mit bemerkenswerter Ausdruckskraft zu formen. Diese beiden neuen Ansätze zur Klangerzeugung wurden als Advanced Wave Memory 2 (AWM2)-Synthese und Advanced Frequency Modulation (AFM)-Synthese bezeichnet. Der SY77 ermöglichte es, mit einer hybriden Kombination aus Sampling und FM aufregende Sounds zu erzeugen, und verfügte darüber hinaus über viele weitere bahnbrechende Funktionen – so konnten beispielsweise die PCM-Wellen der AWM2-Engine sogar als Operator-Wellen im AFM-Klangerzeuger verwendet werden.
Cutoff-Frequenz und Resonanzparameter des digitalen Filters ließen sich auch über die Anschlagdynamik und den Aftertouch der Tastatur steuern. Die Kombination all dieser Features wurde als Realtime Convolution & Modulation (RCM)-System bezeichnet. Mit seinem smoothen Digitalfilter und der Kombination aus PCM und FM – den beiden damaligen Giganten der digitalen Klangerzeugung – erschien der SY77 bei seiner Veröffentlichung fast zu gut, um wahr zu sein, wodurch er zum Inbegriff fortschrittlicher Synthesizer-Technologie der 1990er-Jahre avancierte.

Multitimbralität

Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt der Synthesizer der neunziger Jahre war die Entwicklung von multitimbralen Klangerzeugern. Multitimbralität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Instruments, mehrere verschiedene Klänge gleichzeitig zu spielen, – ein in der Musikproduktion unerlässliches Feature.
Auch wenn die Multitimbralität bei Live-Keyboardern nicht so relevant ist, so ermöglicht sie doch, dass sich verschiedene Instrumentenstimmen wie Schlagzeug, Bass, Klavier und Soloparts zusammenspielen lassen. Richtig zur Geltung kam dieses Feature jedoch erst, als in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre MIDI-Sequenzer populär wurden und es ermöglichten, mit einem einzigen Synthesizer ein komplettes musikalisches Arrangement umzusetzen. Vor diesem Hintergrund wurde der multitimbrale Synthesizer zunehmend für die Produktion von vollwertigen Demobändern und Backing Tracks verwendet, zu denen Keyboarder/innen spielen konnten. Obwohl es Klangerzeuger mit Multitimbralität schon seit der etwas früheren FM-Ära gab, stieg das Interesse an diesem Feature mit dem Aufkommen von Synthesizern, welche in der Lage waren hochwertige und äußerst realistische Klänge akustischer Instrumente zu erzeugen – wie etwa die AWM2-Engine – deutlich an. Gleichzeitig entbrannte ein harter Wettbewerb zwischen den verschiedenen Synthesizerherstellern, die sich bemühten, billigere Produkte auf den Markt zu bringen, die mehr Noten oder Stimmen gleichzeitig spielen konnten und eine größere Auswahl an Stimmvariationen boten.
Wenn man bis dahin mit einem MIDI-Sequenzer automatisch mehrere Stimmen spielen wollte, musste man Hunderttausende von Yen ausgeben, um genügend Synthesizer für die erforderliche Anzahl von Stimmen zu kaufen.
Nun aber konnte ein einziges Instrument mühelos alle diese Klänge gleichzeitig erzeugen. Während unterschiedliche Hersteller diese Anforderung mit achtstimmig multitimbralen Klangerzeugungsmodulen erfüllten, bot der Yamaha TG55 mit seinem sechzehnstimmigen multitimbralen Soundsystem ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis, ebenso wie die Workstations SY77 und SY55. Dies waren revolutionäre Instrumente, durch welche die Zahl der Musikproduzenten erheblich anwuchs.
Die Evolution des PCM-Synthesizers

Als Sample-basierte Klangerzeugungen immer beliebter wurden, brachten Synthesizer-Hersteller verschiedene Instrumente auf den Markt, die auf der PCM-Klangerzeugung basierten, wodurch der Markt immer wettbewerbsfähiger wurde. Yamaha reagierte darauf, indem es die für den SY77 entwickelte AWM2-Klangerzeugung weiter verbesserte und eine Reihe weiterer Einsatzmöglichkeiten erforschte.
Der SY55, der 1990 ein Jahr nach dem SY77 auf den Markt kam, stellte einen bedeutenden technologischen Fortschritt dar, denn er ermöglichte die gleichzeitige Verwendung von vier als "Elements" bezeichnete Komponenten, die jeweils in der Lage waren, Sounds mithilfe von gesampelten Wellenformen zu erzeugen. Dieser Ansatz ermöglichte es, Sounds auf höchst künstlerische und einfallsreiche Weise zu formen - beispielsweise ließen sich originelle Voices erzeugen, indem man ausschließlich den Attack-Part eines Klaviers mit dem Sustain-Part einer Flöte kombinierte, oder einen Bläsersound aus Trompete, Posaune, Altsaxophon und Tenorsaxophon kombinierte.
Parallel zu diesen Ansätzen entwickelten sich auch die Effektgeräte in rasantem Tempo weiter, was teilweise auf die Einführung digitaler Technologien zurückzuführen war. Schließlich konnten Besitzer eines Synthesizers ihre Sounds mittels integrierter Effektgeräte in der gleichen Qualität bearbeiten, wie dies zuvor nur professionellen Tonstudios mit der entsprechenden Hardware vorbehalten war.
Mit dem 1991 eingeführten SY99 konnten externe Klänge gesampelt und anschließend mit der AWM2-Klangerzeugung verwendet werden. Mit dieser und anderen neuen Funktionen verbesserte er die Erweiterbarkeit und die Möglichkeiten der Klangerzeugung erheblich und markierte einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des PCM-Synthesizers. Das in der ersten Hälfte der neunziger Jahre perfektionierte Design des AWM-Tongenerators - zusammen mit "Element" und anderen verwandten Termini - wurde auch in den Instrumenten der MOTIF-Serie verwendet.
Die Ära der Workstations

Anfang der 90er-Jahre wurden die Hardware-Sequenzer, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts zum Einsatz kamen – wie beispielsweise die der QX-Serie – nach und nach durch Software-Sequenzer auf Computerbasis ersetzt. In den Aufnahmestudios sah man immer öfter eine Vielzahl digitaler Geräte, wie MIDI-Schnittstellen, die an Computer angeschlossen waren, Sampler, Synthesizer und andere Klangerzeuger in Racks und ein Master-Keyboard zur Eingabe von MIDI-Daten, die alle durch ein kompliziertes Kabelgewirr miteinander verbunden waren. Solch ein Computer-zentriertes Musikproduktionssystem, ermöglichte es einem einzelnen Musiker in kürzester Zeit seine Ideen frei zu performen und aufnehmen und simit in kürzester Zeit einen kompletten Song zu produzieren. Aufgrund dieser neuen Möglichkeiten und der neuen Anforderungen an Instrumente und Musiker spaltete sich die Entwicklung des Synthesizers in zwei verschiedene Richtungen auf.
Die erste Strömung betrachtete den Synthesizer in erster Linie als Klangerzeuger. In einigen Anwendungen wurden Klangerzeuger mit Wind- und Gitarrensynthesizern gespielt, aber der vorherrschende Trend ging dahin, sie als integralen Bestandteil eines computergestützten Musikproduktionssystems einzusetzen. Der Klangerzeuger wurde jedoch direkt durch einen Computer oder eine andere MIDI-Signalquelle gesteuert, sodass er nicht mehr wie die Synthesizer der Vergangenheit in eine Tastatur integriert sein musste. Um dem gerecht zu werden, brachte Yamaha eine Reihe von rackmontierten und desktopfähigen Klangerzeugern unter der Bezeichnung TG auf den Markt.
Unter dem Einfluss der zweiten Strömung entwickeltesich der Synthesizer zu einer Workstation, die sowohl die Anforderungen von Keyboardern als auch von Arrangeuren erfüllte – ein Konzept, dem die meisten Keyboard-basierten Synthesizer dieser Zeit folgten. Musiker konnten allein mit der Workstation komplette Songs produzieren und ohne besondere Computerkenntnisse auf diesem einzigen Instrument komplette Produktionen kreieren. Dafür waren nicht mal komplizierte Verkabelungen nötig, und die hohe Audioqualität auf Studio-Niveau inspirierte viele Anwender. Der bereits erwähnte und all diese Elemente in sich vereinende SY99 wurde zum Inbegriff einer 90er-Jahre-Workstation. Die SY-Serie gilt heute als Urvater der Workstation-Synthesizer von Yamaha.
Die Suche nach neuen Klangerzeugungs-Technologien

Die Sampling- und PCM-Ansätze zur Klangerzeugung, die sich ab Anfang der neunziger Jahre in Synthesizern durchzusetzen begannen, basierten im Kern auf der Aufnahme und Wiedergabe echter Instrumente. Eine qualitativ hochwertige Aufnahme und Wiedergabe ermöglicht es, einen dem Original entsprechenden Sound zu reproduzieren. Die Entwicklung hin zu einem überzeugenden Musikinstrument war jedoch keine leichte Aufgabe, vor allem weil Tonhöhe und Klangfarbe in Echtzeit gesteuert werden mussten, um diese Sounds spielbar zu machen. Man stelle sich vor, dass die Klaviertastatur 88 Tasten und die gleiche Anzahl von Skalentönen besitzt, dass MIDI es ermöglicht, die Spielstärke auf einer 127-stufigen Skala darzustellen, dass sich realistische Klänge im Laufe der Zeit verändern und miteinander verbunden werden müssen und dass die Controller in der Lage sein müssen, den Klang zu modulieren, um eine größere Ausdrucksstärke zu erreichen. Es ist unschwer zu erkennen, dass eine Vielzahl verschiedener Patterns, die all diese Möglichkeiten abdecken, aufgezeichnet und die am besten geeigneten sofort für die Wiedergabe ausgewählt werden mussten. Dies wiederum erforderte riesige Mengen an aufgezeichneten Daten, die von nach wie vor langsamen und teuren Speichern und Prozessoren verarbeitet werden mussten. In dieser Hinsicht ließen die damaligen Technologien viel zu wünschen übrig.
Obwohl Yamahas FM-Klangerzeugungssysteme in der Lage waren sehr ausdrucksstarke Klänge zu erzeugen, ohne dabei viel Speicherplatz zu beanspruchen, machte sich unser Synthesizer-Entwicklungsteam auf die Suche nach neuen Ansätzen für eine Klangerzeugung, die wesentlich realistischere Sounds erzeugen konnte und so denen von akustischen Instrumenten noch näher kam. Als Ergebnis dieser Bemühungen wurde Physical Modeling als der vielversprechendste technologische Kandidat identifiziert.

Als Physical Modeling bezeichnet man einen Ansatz zur Klangerzeugung, welcher die physikalischen Vorgänge eines Sounds als mathematische Gleichungen darstellt. Auf dieser Basis erfolgt dann eine Modellierung des klanglichen Gesamtprozesses. Wenn man zum Beispiel den Sound eines Saxophons erzeugen möchte, würde dieser letztlich mathematisch so modelliert, dass er einem akustisch durch einen Musiker erzeugten Ton dentspricht, also das durch Luft zum Schwingen gebrachte Blatt sowie die Luftsäule und Resonanz im Inneren des Saxophons exakt nachbildet. Analog zur FM-Synthese basiert auch diese Methode auf einem theoretischen Ansatz, der an der Stanford University entwickelt wurde und dessen Grundlagenforschung bereits in den 80er Jahren begann. Doch erst im folgenden Jahrzehnt, als die Entwicklung neuer Klangerzeugungssysteme immer dringlicher wurde, beschloss das damalige Synthesizer-Entwicklungsteam von Yamaha, mit der Forschung und Entwicklung zu beginnen, um die physikalische Modellierung als eine praktische Technologie für Synthesizer zu etablieren.
Es erforderte sämtliche Ressourcen des Teams, um diesen Meilenstein zu erreichen, aber die harte Arbeit zahlte sich schließlich in Form der Virtual Acoustic (VA) Klangerzeugung aus – der weltweit ersten mit Physical Modeling. Wir waren stolz darauf, diese Engine 1993 als Herzstück des VL1-Synthesizers der Weltöffentlichkeit vorstellen zu können. Mit nur zwei polyphonen Klängen stand dieser unkonventionelle Synthesizer in starkem Kontrast zur SY-Serie und anderen ähnlichen Instrumenten aus der Blütezeit des Synthesizer-Zeitalters. Die meisten verfügten über eine deutlich höhere Polyphonie und konnten die Klänge mehrerer Instrumente gleichzeitig erzeugen. Dennoch stahl der VL1 allen die Show, da er die Klänge von Blasinstrumenten wie Saxophon und Trompete sowie von Streichinstrumenten wie der Violine mit bemerkenswerter Authentizität reproduzieren konnte. Dazu wurde ein Signal von einem als Instrument bezeichneten Klangerzeuger verarbeitet und durch einen Modifikator geformt, der den Klang des Instrumentenmodells steuert. Bei einem Blasinstrument beispielsweise wurde ein Instrument, das dem Mundstück oder dem Rohrblatt entspricht, mit einem Modifikator kombiniert, der das physikalische Material oder die Form des modellierten Objekts definierte.

Dem Instrument und dem Modifikator ließen sich verschiedene Parameter zur Änderung des Verhaltens zuweisen, die so nur beim VL1 zu finden waren. Aber was den authentischen Sound dieses Synthesizers so besonders machte, war die unglaubliche Freiheit die sich beim Spielen des Instruments entfaltete. Anders als bei früheren Synthesizern wurden die Töne nicht einfach durch das Spielen der Tastatur erzeugt: Wenn man etwa ein Blasinstrument modellierte, konnte man den VL1 so einstellen, dass er Töne über den Breath Controller erzeugte – ein Gerät über welches sich MIDI-Parameter je nach Stärke des Blasens variieren lassen. Mit dem VL1 ließen sich virtuelle Blasinstrumente mittels Tastatur und Breath Controller vom Ausdruck her ähnlich komplex spielen wie ihre akustischen Pendants.
Zwar ließ sich prinzipiell die Lautstärke jedes MIDI-kompatiblen Synthesizers dieser Zeit mittels Breath Controller steuern, doch die Spezialität des VL1 war die originalgetreue Nachbildung von Instrumenten wie Saxophon und Trompete, bei denen sich selbst subtile Veränderungen in Klang und Tonhöhe je nach Luftdruck mittels Controller originalgetreu reproduzieren ließen. Tatsächlich konnten die von diesem Synthesizer erzeugten Klänge von Blasinstrumenten leicht mit echten Instrumenten verwechselt werden, und seine Veröffentlichung stieß weltweit auf großes Interesse. Nachfolgende Modelle waren der VL1-m, der den VL1 als Klangerzeuger hatte, und der kostengünstige VL70-m. Auch heute kommen diese Instrumente noch regelmäßig bei Wind-Synthesizer-Fans zum Einsatz.

Neben der im VL1 zum Einsatz kommenden VA-Klangerzeugung mit Self Oscillation (S/VA), entwickelte Yamaha auch eine F/VA-Klangerzeugung mit Free Oscillation, die im darauffolgenden Jahr im virtuellen Analogsynthesizer VP1 zum Tragen kam. Die F/VA-Klangerzeugung konnte viele verschiedene Variationen des Schlagens, Zupfens und Streichens von Schlag- und Saiteninstrumenten modellieren. Sie war allerdings nicht darauf beschränkt, bestehende Klänge zu simulieren, sondern konnte auch gänzlich neue Instrumente ohne akustische Entsprechung modellieren. Obwohl die VL1- und VP1-Synthesizer technisch sehr innovativ und ausdrucksstark waren, mussten verschiedene Controller, wie der Breath-Controller, parallel gespielt werden, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Dies erforderte von Musikern einiges an Geschick und sorgte dafür, dass sich die Beliebtheit dieser Nischeninstrumente bei herkömmlichen Keyboardern in Grenzen hielt.
Den wirtschaftlichen Entwicklungen der Neunzigerjahre ausgeliefert

In den 1980ern konnte sich Yamaha mit der bahnbrechenden DX-Serie als führender Entwickler digitaler Synthesizer positionieren. Mit dem Aufkommen der PCM-Synthesizer in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts folgte dann die Entwicklung der AWM2-Klangerzeugung sowie die Vorstellung der leistungsstarken SY-Serie. Dennoch lief auch für Yamaha als Synthesizer-Hersteller nicht immer alles rund.
Einer der größten Faktoren, die das Geschäft beeinflussten, waren die Wechselkursschwankungen. Als der DX7 1983 auf den Markt kam, war ein US-Dollar ungefähr 240 japanische Yen wert, aber bis zur Veröffentlichung des SY77 im Jahr 1989 war der Kurs deutlich auf 145 Yen gefallen. Als Ende 1991 der SY99 auf den Markt kam, war der Dollar noch weiter gefallen und lag unter der 130-Yen-Marke. Bis zur Einführung des VP1 im Jahr 1994 wurde der Yen sogar noch stärker, sodass der Dollar schließlich unter die 100-Yen-Grenze absackte.
In der DX7-Ära konnte Yamaha noch mit Stolz leistungsstarke Synthesizer zu fairen Preisen an Kunden auf der ganzen Welt ausliefern, aber die rasante Aufwertung des Yen in den 90er-Jahren beeinträchtigte die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte stark. Vor allem die Synthesizer-Modelle, die Yamaha als Einstiegsmodelle entwickelt hatte, rutschten auf dem internationalen Markt nun in die mittleren bis hohen Preisklassen. Damit konnte sich die eigentliche Zielgruppe nahezu keines dieser Instrumente mehr leisten.

Der Zusammenbruch der japanischen Wirtschaftsblase verursachte weiteren Schaden. Die Zeit ab 1991 war in Japan von einem rapiden wirtschaftlichen Niedergang geprägt, und der Absatz von relativ teuren elektronischen Instrumenten litt ebenfalls stark. Andere japanische Hersteller begegneten diesen schwierigen Zeiten, indem sie ihre Produktpalette strafften, die Funktionen mehrerer Modelle gemeinsam nutzten und ihre Produktpalette mit preiswerteren Produkten neu aufstellten.
Obwohl der Synthesizer aus dem Wunsch heraus entstanden war, Musikerinnen und Musikern die vergleichbare Ausdruckskraft eines akustischen Instruments an die Seite zu stellen, wurde es durch die Fortschritte in der Sampling-Technologie nun möglich, mit Leichtigkeit genau diese Instrumentalklänge zu erzeugen. Infolgedessen wurde dem Synthesizer als Alternative zu akustischen Instrumenten mehr Bedeutung beigemessen als seinem Funktionsumfang, welcher ihn für kreatives Sounddesign prädestinierte. Außerdem erleichterte eine Reihe anderer Entwicklungen das Vergleichen von Klängen unterschiedlicher Synthesizer-Hersteller anhand ähnlicher Leistungsdaten. So wurde 1991 der General MIDI (GM)-Standard für Synthesizer veröffentlicht, der bestimmte Klänge als Antwort auf zugeordnete MIDI-Befehle erzeugen konnte, was auch zur Entwicklung des Standard MIDI File (SMF) als eines gemeinsamen Formats für den Austausch von MIDI-Performance-Daten führte. Folglich konzentrierten sich die Käufer von Synthesizern mehr auf die Unterschiede der erzeugten Klänge und die Eignung für die Musikproduktion als auf synthesizerspezifische Funktionen oder den Spielkomfort.

Andere Synthesizerhersteller nahmen sich ein Beispiel daran und reduzierten ihre Ressourcen im Bereich Hardware-Entwicklung und Funktionsumfang und konzentrierten sich stattdessen lieber auf die Qualität und Vielfalt von Wellenformen als Basis ihrer PCM-Synthesizer. Das heißt, man versuchte, sich gegenüber der Konkurrenz über die Form der digitalen Inhalte zu differenzieren, was letztlich zu einem stetig wachsenden Kundenstamm führte. Als Reaktion auf diesen Trend versuchte man bei Yamaha, durch technologische Innovation wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums der leistungsorientierten VL- und VP-Modelle arbeitete man daran, die Musikproduktionsfunktionen der Yamaha Workstations zu verbessern. Für kostenbewusste Kunden kam 1994 die W-Serie auf den Markt, ein Jahr später folgte der Synthesizer QS300 – ein Modell, das das XG-MIDI-Format unterstützte. Die Synthesizer der W-Serie waren mit ihrem 8 MB Wave-Speicher (dem größten damals verfügbaren Speicher), sechs unabhängigen Effektprozessoren, 16-stimmiger Multitimbralität und GM-Unterstützung besonders für hochwertige Musikproduktionen prädestiniert. Im Gegensatz zu den Instrumenten der SY-Serie fanden diese Synthesizer jedoch wenig Anklang bei professionellen Keyboardern.

Zahlreiche Ideen wie die Entwicklung neuer Klangerzeuger, das Hinzufügen innovativer Funktionen sowie die kontinuierliche Verbesserung unserer PCM-Klangerzeuger ließen das Potenzial erkennen, um aus diesem Trott auszubrechen. Und so begann man damit, viele neue Produkte zu planen und herauszubringen. Leider war Yamaha jedoch nicht in der Lage, mit den raschen Veränderungen auf dem Synthesizermarkt und im allgemeinen Geschäftsumfeld Schritt zu halten. Außerdem gelang es nicht, Produkte anzubieten, die die Bedürfnisse der Anwender vollständig befriedigten. Für den Yamaha-Synthesizer wurde die Situation so immer prekärer.
In der ersten Hälfte der neunziger Jahre entwickelte sich die QY-Sequenzer-Serie zu einem großen Erfolg, da diese es jedem Musiker ermöglichte, praktisch an jedem Ort Musik zu produzieren. Auch die wachsende Popularität des XG-Formats machte es zunehmend einfacher, Musikproduktionen umzusetzen. Im Synthesizer-Bereich wurde jedoch trotz des Erfolgs unserer SY- und TG-Serie mit der Veröffentlichung und Weiterentwicklung von mehr als 30 verschiedenen Produkten (wie der EOS B-Serie, der P-Serie, der VL/VP-Serie, der W-Serie, dem QS300 und dem A7000) deutlich, dass das Yamaha-Logo sowohl auf der Bühne als auch im Studio langsam verdrängt wurde. Bei Yamaha suchte man daher fieberhaft nach einem Weg, das krieselnde Synthesizer-Geschäft wieder in solide Bahnen zu lenken.